Diese Welt wollte mich nicht…

Von Benno von Sandhayn
Voraussichtliche Lesedauer: 4 Minuten
Diese Welt wollte mich nicht…
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.Die Gesellschaft will Menschen, die wissen, wo sie hingehören. Und einen, der philosophiert.


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Man kann Marketingberater, Drogen-Dealer oder Al-Qaida-Terrorist werden: Aber Eindeutigkeit und Selbstverantwortung sind gefragt. Ich gehörte nie zu dieser entschlossenen Spezies. Ich bin 25, seit drei Jahren Türsteher in Berlin und seit kurzem Regie-Mitarbeiter beim Porno-Label Eronite. Wir produzieren vor allem Fetisch- und BDSM-, aber auch reichlich Reality-Filme und eine eigene Linie für Amateur-Content. Dabei ist alles von “Tante, was machst du denn da?!” bis “Brutale Schlampen – Versklavt und ausgeliefert”. Zusammengehalten wird der ganze Betrieb von meiner Chefin Hera Delgado: Sie ist 29, bildhübsch und hat drei mal mehr Eier als die aufgekratzten Junggesellenabschiede, die meine Türsteher-Kollegen und ich am Wochenende nicht in unsere Clubs reinlassen. Seit 2006 behauptet sie das Label als einzige namhafte Fetisch-Regisseurin in Deutschland gegen die restliche männerdominierte Szene. Fest steht: Im Gegensatz zu mir gehört sie schon lange zu den Entschlossenen.

Annika BondDie Welt wollte mich nicht.

Bis vor einer Weile siechte ich vor mich hin. Ich habe zwei Studiengänge abgebrochen, Praktika waren kaum der Rede wert. Ich stehe nicht auf Uni-Betrieb oder Berufsschule und der Gedanke an eine 50-Stunden-Woche im Vertriebsbüro von Möbel Höffner macht mich krank. Ich will leben! Und Leben heißt für mich: Das tun, was mir Spaß macht und was ich für sinnvoll halte. Ich will mich nicht für Personaler-Arschlöcher verbiegen, deren reine Existenz mich zum Kotzen bringt. Also habe ich mich bis auf die Finger volltätowieren lassen, 90% meiner Habseligkeiten weggeworfen und mich mit meinem Gesicht neben die Chefregisseurin Hera gestellt, als “exklusiv – die Reportage” vor Kurzem bei uns zu Gast war. Ganz ehrlich: Was soll mir denn passieren? Welche Hoffnung soll mir verloren gehen? Dass ich nicht mehr Vorstandsvorsitzender beim Schreibwarengroßhandel in Ludwigshafen werde? Dass ich in fünf Jahren bei den Piraten durchstarten möchte bis ein wüster Enthüllungsartikel über meine Gewalt-Pornos erscheint? Haben die Leute mit solchen Einwänden denn eigentlich vor Augen, was wir Globalisierungsversager von der Zukunft zu erwarten haben? Wer soll dem “Girl next door” denn vorhalten, sie würde sich “ihre Chancen” verbauen? Für Leute wie uns sind die Biographien von Sexy Cora und Hunter Moore nicht nur attraktiver und naheliegender. Sondern vermutlich auch tragfähiger als die Ausbildung als Heilerziehungspfleger. Frühverrentung wegen Burnout-Folgen erwartet uns eh, da kann man in der Zwischenzeit wenigstens alles mitnehmen, was geht. Privat tue ich das seit Jahren, jetzt habe ich beruflich nachgezogen.

Und bei Eronite kann ich eine Menge mitnehmen. Geschmacksprobe gefällig? Mein Probearbeiten bestand darin, vierzig Männer zu beaufsichtigen, die unsere thailändische Darstellerin Kim XXX (Gesprochen: Kim Triple-X) im Zehn-Minuten-Takt zu dritt oder zu viert in “alle Löcher” gefickt haben – sechs Stunden lang. Wenn ein Typ gut rüberkam und auf Kommando innerhalb einer Minute abspritzen konnte, habe ich ihn zur Chefetage weitergeschickt. Projekt Nummer 2: Unterstütz’ die Profi-Domina Lady Neva als Regie beim Quälen eines Exhibitionisten – interner Vermerk: “Extremer Fuß-Fetischist / “Sockenesser” / bekommt Erektion bei Riechen an getragenen Stiefeln”. Nicht alles, was ich zu sehen bekomme, gibt mir was. Aber nicht viele Männer kommen in die Situation, einer Domina mit 75D Anweisungen zu geben. Die meisten erleben das nicht mal umgekehrt. Ich bin endlich in einer Umgebung angekommen, in der ich mich nicht mehr zu verstecken brauche. Wenn ich für Produktionszwecke Fotos schieße von Frauen, die sich hauptberuflich von mehreren Männern anpissen lassen, dann mache ich mir um meine eigene Reputation keine großen Sorgen mehr.

Ich weiß nicht, wie es den Lesern geht, aber ich habe eh Angst vor fast allem, was um mich herum passiert. Ich verstehe diese Welt nicht mehr und halte sie für völlig krank. Sie raubt mir den Atem. Aber ich weiß, was ich erlebt habe: Ich habe erlebt, dass guter und intensiver Sex einem Glück schenken kann, dass man nirgendwo anders findet. Ich weiß, was es für ein gutes Gefühl ist für Männchen und Weibchen, wenn man verschmutzt, pervers, hemmungslos miteinander ficken kann. Das sind Momente, in denen man sich selbst so wunderschön erleben kann, auch wenn vor dem Fenster die Welt untergeht. Pornographie hilft dabei, diese Erlebnisse zu machen. Die öffnet die Augen für die vielfältigen sexuellen Möglichkeiten, sie ist werturteilsfrei und offen für alles: If it exists, there is porn of it. Die Leute sagen zwar immer, Pornos hätten nichts mit der Realität zu tun oder sollten es zumindest nicht. Aber diese Auffassung ist grundfalsch! Deepthroat- und analtalentierte 19-Jährige, Ficken mit drei Frauen oder zehn Männern, ein Riesenfreiraum für die eigenen Vorlieben und Fetische – das wünsche ich viel mehr Menschen. Und ich fände das fantastisch, wenn es auch in alternativen Kreisen viel verbreiteter wäre: Bukkake-Parties mit spindeldürren Friedrichshainer Hipster-Mädchen? Ich darf versichern: Sperma auf Hornbrillen sieht fantastisch aus!

Ein “Happy End” gibt es noch nicht. Die Welt dreht sich weiter und wir von Eronite versorgen sie dabei mit Fetisch- und BDSM-Pornographie. Für Euch plaudere ich gerne nochmal aus dem Nähkästchen, wenn’s die Zeit ergibt. Ist ja nicht so, dass sich die anderen Leute nicht für Fickthemen interessieren…

(von Rafael Santeria)

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