Pervers ist erst, wenn keiner mehr mitmacht!

Von Valérie Francès-Pecker
Voraussichtliche Lesedauer: 5 Minuten
Pervers ist erst, wenn keiner mehr mitmacht!
Pervers ist erst, wenn keiner mehr mitmacht!

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Wer ist pervers, wer nicht, wer will noch mal?

Erst wenn keiner mehr mitmacht, wird es richtig pervers

Mein Name ist Hera Delgado und ich bin Deutschlands einzige Fetischfilmregisseurin. Ich beschäftige mich mit BDSM – beruflich, aber auch privat. Ich bin geoutete SMerin, seit fast einer Dekade. Immer wieder denke ich, ich habe alles gesehen, egal wie pervers, habe alles erlebt, immer wieder muss ich feststellen, dass dem nicht so ist.


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Ich finde, wir SMer sind ziemlich gut organisiert heutzutage, fast so, als seien wir gar keine Minderheit. Heutzutage – wenn ich das so sage, könnte man meinen, ich hätte die Anfänge der SM-Subkultur miterlebt. Aber das habe ich nicht. Ich bin 30 und beschäftige mich seit zehn Jahren mit dem Thema SM. Zehn Jahre, das ist für die einen eine lange Zeit. Für gewisse Privatsender lange genug, um mich in vormitternachtlichen Erwachsenenunterhaltungsdokumentationen als SM-Expertin zu titulieren und für gewisse Boulevardzeitungen ebenfalls lange genug, um mich als Fetisch-Expertin zu interviewen zu Themen wie „Und welchen Fetisch hast du?“. Mein Statement zu der Sache: Nicht jeder muss einen Fetisch haben.

Niemand “muss” einen Fetisch haben, keiner “muss” pervers sein

Es ist nichts daran, „cool“ pervers zu sein. Und ich schüttle den Kopf darüber, dass es gerade die Boulevardmedien sind, die genau dieses Dogma verbreiten. Wenn du nicht wenigstens ein bißchen pervers bist, dann bist du nicht „in“. Leute, hinterfragt euch doch mal – das könnt ihr doch nicht allen Ernstes glauben!

Pervers ist erst, wenn keiner mehr mitmacht!Die Wahrheit ist, dass es alles andere als leicht ist, so zu sein, anders zu sein. Und wir können froh sein, dass wir eben so gut organisiert sind, in unserer Szene, in unserer Subkultur und in unserer eigenen kleinen Welt. Zehn Jahre, in denen ich schon alles gesehen habe, alles gehört habe, in meinen Filmen vieles gezeigt habe. Zehn Jahre, für die einen eine lange Zeit, für die anderen gar nichts. Da gibt es Leute, deren Lebensalter das meine um ein Vielfaches übersteigt, und die sich schon ihr Leben lang damit beschäftigen „anders“ zu sein. Die auch schon anders waren, als es noch nicht modern war. Neben ihnen komme ich mir manchmal regelrecht unbedarft vor. Welch einen immensen Erfahrungsschatz kann man sich aneignen über die Jahrzehnte. Alles gesehen, alles gehört… Dieses Fass, es kennt keinen Boden.

Verschiedene Rollenbilder: DSer und SMer – zwei Gegensätze?

Und wie betrachten wir SMer uns gegenseitig? Sind wir wirklich so tolerant, wie wir es uns auf die Fahne schreiben, so tolerant, wie wir behaupten? Da lästern die Doms untereinander und ziehen übereinander her, da fahren die Domsen ihre Krallen aus, jeder kennt die Gerüchte über sich selbst, negiert sie und verbreitet die über die anderen gnadenlos weiter. Da schwillt dem KV-aufnehmendem Sklaven die Brust, der mehr aushält als sein devoter Mitstreiter, der eigentlich nicht mehr will als still in seinem Käfig zu sitzen und sich von innen heraus zu fühlen. Wie weit geht unsere Toleranz gegenüber unseresgleichen?

Während sich die einen über CIS streiten, steigen die anderen beim TPE schon aus. Die, die sagen „Wir spielen SM nicht“ geraten mit der EPE-Fraktion aneinander. Da wird geswitcht auf der einen Seite, Unverständnis bei denen, die in ihrem Rollenbild alteingesessen sind. Die DSer sehen sich den SMern gegenüber und finden kaum einen gemeinsamen Nenner. So viele verschiedene Arten des SM – oder sollte ich BDSM sagen? Fühlt sich sonst jemand auf den Schlips getreten?

Wann ist pervers wirklich pervers? Wo die liegt die Messlatte?

Wo ist die Grenze, wo trennen sich Normalität und Perversion? Jemand sagte einmal „Pervers ist erst, wenn keiner mehr mitmacht“. Ich sage, wenn dem so wäre, gäbe es keine Perversen. Es gibt immer jemanden, egal wie abgrundtief gräßlich unsere Fantasien werden und wie absurd sie uns erscheinen mögen. Ich sage auch, viele Gedanken können nicht domestiziert werden. Wir müssen unterscheiden, was wir noch verantworten können und an welchen Stellen uns unsere Gedanken in eine Welt tragen, die wir nicht leben können.

Und was sagt das über unsere Gedanken? Nichts, außer dass es unser Empfinden ist, welches uns eine Wertigkeit legen lässt in die Fantasien, die wir in unserem Kopf haben. Dinge, die der eine als hochgradig pervers empfindet, werden vom anderen als verhältnismäßig harmlos erachtet, doch bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Messlatte beim einen generell höher liegt als beim anderen. So kann es sich da durchaus auch umgekehrt proportional zueinander verhalten, hat nun Zweiterer auf seiner Messlatte etwas ganz weit oben angesiedelt, was nun den Ersten nicht besonders schockt.

DS, SM und Bondeage: Mittelpunkt unseres kleinen Subkultur-Universums

BDSM als Drei-Säulen-Prinzip, aus eben dem SM, dem DS und dem Bondage, die man wie drei Achsen übereinanderlegen kann, so dass ein dreidimensionaler Raum entsteht. Hier muss ein Jeder erst einmal seinen Platz finden, denn es reicht nicht, einfach nur diesen Raum zu betreten. Zwei Menschen, die auf scheinbar harmonierenden Seiten stehen, können dennoch kilometerweit voneinander entfernt sein; zwei, die ähnliche Neigungen haben, sich dabei viel näher sein, denn mit dem „passenden“ Dritten dadurch zu einem harmonischen Ganzen werden.

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Drei Säulen, die sich beliebig verschieben lassen, die weit entfernt oder eng beieinander sein können. Und was finden wir am Schnittpunkt der drei Achsen, wo sich SM, DS und Bondage kreuzen? Der einzige Punkt in dem Gefüge, der sich nicht verschieben lässt? Ist er der Mittelpunkt unseres kleinen Subkultur-Universums, ist er der Punkt der höchten Dichte, der größten Anziehungskraft, um den sich alles andere dreht? Ist es jener Ort, dem wir uns unbewusst anzunähern versuchen oder jene Gefahr, die uns ähnlich einem schwarzen Loch zu verschlingen droht?

Zehn Jahre beschäftige ich mich jetzt mit diesem Thema und der Subkultur, die daran hängt. Zehn Jahre, in denen ich viel gelernt habe, viel über die Menschen um mich herum, und noch mehr über mich selbst. Ich bin inzwischen über den Punkt hinaus, „normal“ sein zu wollen. Ich bin es nicht, ich war es nie, und ich werde es auch niemals sein können. Nun – ich finde, wir SMer sind heutzutage ziemlich gut organisiert. So gut, dass man als Topf tatsächlich die Chance hat, seinen Deckel zu finden…

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